Internationales Zentralinstitut für das Jugend- und Bildungsfernsehen, IZI

Ausgabe 15/2002/1 - TEXTAUSZUG:

Jan-Uwe Rogge

Fantasie, Emotion und Kognition in der "Sesamstraße"

Anmerkungen zu den Rahmengeschichten

Kinder haben eine magisch-fantastische Wirklichkeitsauffassung. Sie mögen einfache und klare Geschichten, die märchenhafte Elemente aufweisen, die sie mit ihrer Fantasie besetzen können. In einer Rezeptionsuntersuchung zur Sesamstraße fanden Kinder dies vor allem in den Muppet-Geschichten oder der Figur Pepe. In einigen Einspielfilmen hingegen fühlten Kinder sich nicht ernst genommen.

1. Max trifft Ernie und Bert

Max, 4 ½ Jahre, kommt mit seiner Mutter in die Beratung. Sie wirkt einigermaßen genervt. Max zeichnet sich dadurch aus, dass er im Haus seiner Eltern Chaos verbreitet.

Mutter (genervt): "Das Schlimmste, er sagt, er mache nicht die Unordnung, sondern das machten Ernie und Bert, die ihn besuchen." Sie sieht mich an: "Stellen Sie sich vor, Ernie und Bert, der spinnt doch!"

Max: "Nicht Ernie und Bert, nur Ernie, Mama, nur Ernie!"

Mutter: "Hör auf!"

Ich greife ein und frage Max: "Wie ist das?"

Max (lachend): "Die kommen, räumen alles aus den Kisten und dann verschwinden die einfach, ohne wieder aufzuräumen!"

Mutter: "Max, bitte! Hör sofort auf mit dieser Spinnerei!"

Max: "Aber du sagst, wer Unordnung macht, muss das aufräumen! Nur Ernie macht das nicht! Der haut immer gleich ab!"

Mutter mit schriller Stimme: "Max! Hör sofort auf mit deinen Geschichten!"

Ich wende mich an Max und frage: "Ärgert dich das?"

Max nickt.

"Wenn dich das stört" hake ich nach, "warum sagst du dann nichts?"

Er sieht mich irritiert an.

"Hast du dir etwas überlegt?" Max schüttelt den Kopf.

"Sagen Sie ihm", greift die Mutter ein, "er soll gefälligst mit seinem Gespinne aufhören! Er soll aufräumen!" Sie ist wütend. "Dieser verfluchte Mist aus dem Fernsehen! Dabei soll die Sesamstraße doch eine gute Sendung sein. Da soll man was lernen." Sie sieht mich entnervt an: "Und dann dieses Ergebnis!"

Max lächelt mich an.

"Max", wende ich mich an ihn, "ich würde mit Ernie sprechen, sagen, dass dich das ärgert, wenn er nicht aufräumt!"

"Wie bitte?" platzt die Mutter dazwischen. "Sie haben zu viel Verständnis mit ihm! Sie haben wohl auch zu viel ferngesehen!"

Aber Max schaut mich aufmerksam an. "Ich soll mit ihm schimpfen?" antwortet er zögerlich.

"Ja!"

"Wie denn?"

Ich sehe in an: "Ich würd’s so versuchen: Ernie, du kannst mit mir spielen. Aber du musst dann wieder aufräumen, bevor du gehst. Sonst brauchst du gar nicht mehr zu kommen!"

Max nickt heftig, so, als habe er die Botschaft verstanden. Dann sieht er mich fragend an: "Und wenn er das nicht macht?"

"Dann kannst du ihm sagen, du brauchst gar nicht mehr zu kommen!"

Drei Wochen später. Die Mutter kommt wiederum in die Beratung: "Er räumt auf!" Max ist dabei und lacht: "Ich hab’ mit dem Ernie geschimpft!"

"Und?"

"Nun kommt er nicht mehr. Nun bleibt er in der Sesamstraße und macht dort seinen Unsinn."

Kinder erfinden unsichtbare Gefährten, unsichtbar nur für Erwachsene, für Kinder sind sie zum Greifen nahe. Es sind Figuren, die in der Fantasie entstanden sind oder wo Medien Geburtshelfer waren – Figuren, die mit den Kindern durch Dick und Dünn gehen, für eine Zeit lang untrennbar mit ihnen verbunden sind. Eltern haben Probleme damit, weil sie meinen, das Kind würde aus der Realität fliehen und dabei Wirklichkeit und Fantasie vermischen. Aber ganz im Gegenteil: Solche Figuren sind für die gefühlsmäßige Entwicklung des Kindes außerordentlich wichtig. Die Gefährten dienen als Kleister, um Löcher im manchmal noch lückenhaft intellektuellen Lernprozess zu stopfen – aber sie sind ungefährlich für das Kind. Es lässt sich freiwillig auf sie ein, es bestimmt über sie, es lenkt sie. Das Kind besetzt aber die Figuren mit eigenen Wünschen und Gedanken. Um es auf Max zu übertragen: Er hat eine ebenso einfache wie magische und kindgerechte Lösung gefunden. Max konnte die Kritik der Eltern an seiner Unordnung nicht annehmen. Er empfand sie wohl weniger als Kritik an der Sache denn als Kritik an seiner Person. Je vehementer die elterlichen Vorwürfe wegen seiner Unordnung kamen, umso intensiver führte er seine kleinen Rachefeldzüge vor, die die Eltern allmählich zur Verzweiflung trieben. Die Bedeutung von Max’ Fantasien wird sehr schnell klar. Ernie verkörperte Max’ polare Sichtweise, die so typisch für die Altersstufe zwischen drei und fünf ist: die Aufspaltung in gute und böse Personen. Ernie repräsentierte das "Böse", Max das "Gute". Eine differenzierte Betrachtung von Personen – das heißt, dass sich auch eine Entweder-oder-Haltung, eine Sowohl-als-auch-Haltung entwickelt – gewinnen Kinder frühestens vom fünften Lebensjahr an. Erst allmählich wandelt sie sich. Ernie diente Max als Vehikel, ein magisches Vehikel, dessen Bedeutung für die Eltern auf den ersten Blick nicht zu erkennen war. Meine Beobachtung: Wenn Eltern und Erwachsene sich mehr auf eine genauere Beobachtung ihrer jüngeren Kinder einlassen könnten, Eltern lernten, für deren magisch-fantastische Sichtweise Verständnis zu entwickeln, dann gelänge es, schon mit Kindern zwischen zwei und fünf Jahren zu Konfliktlösungen zu kommen. Zwar hätten sie nur eine begrenzte Zeit Gültigkeit, könnten aber manchen Machtkampf auf eine ebenso überraschende wie witzige Weise beenden.

2. Die Bedeutung der magisch-fantastischen Phase in der kindlichen Entwicklung

Die magisch-fantastische Phase des Kindes reicht vom vierten Lebensjahr bis in das Grundschulalter hinein. Dem magischen Denken wird in der Bildungsdiskussion der letzten Jahrzehnte eine nachgeordnete Bedeutung zugewiesen – zu sehr stehen Rationalität und die Orientierung an kognitiven Lernzielen schon im Vorschulalter an vorderster Stelle. Der Leistungsgedanke ist auf das intellektuelle Vermögen und weniger auf die sozialen, motorischen und gefühlsmäßigen Fähigkeiten des Kindes festgelegt. Aber es ist wichtig, sich zu vergewärtigen:

Das Kind empfindet sich in der magischen Phase als eine Art Mischung aus Wissenschaftler und Magier, aus Forscher und Künstler. Auf der einen Seite weiß das Kind um reale Abläufe, weiß um die Hintergründe vieler Dinge. Aber daneben gibt es – ganz zwangsläufig – riesige Lücken, die das Kind mit eigenen Fantasien und selbst gestalteten Überlegungen füllt.

Kinder denken in Bildern. Und diese vom Kind konstruierten Bilder – seien es das Monster, der Schatten oder der imaginäre Räuber – können genauso wahrhaftig sein wie die Wirklichkeit, die das Kind umgibt.

Das Kind beseelt Dinge, haucht ihnen seinen Willen ein, gibt ihnen eigene Bedeutung. So können die Legosteine im dritten Lebensjahr noch zum imaginären Spielgefährten werden – jene Steine, die das Kind dann ab dem fünften Lebensjahr fast nur noch als Spielmaterial ansieht. Wenn im dritten Lebensjahr noch der Batman-Umhang reicht, um sich wie dieses Vorbild zu fühlen, so muss es im siebten Lebensjahr die Gesamtausrüstung sein, um die Fantasie aufzubauen, man sei der Superheld.

Doch erweist sich die selbst bestimmte Beseelung von Dingen manchmal als widersprüchlich: Sie gibt den Kindern Kraft, um Selbstbewusstsein und Eigenständigkeit zu demonstrieren. Aber durch die magische Besetzung können aus harmlosen Gegenständen oder Situationen fürchterliche Monster werden. Da entstehen aus dunklen Schatten Geister, da werden aus wehenden Gardinen Einbrecher und knarrende Geräusche mit überlebensgroßen Einbrechern gleichgesetzt.

Kinder sind den Objekten der Um- und Nahwelt niemals passiv ausgeliefert. Sie entwickeln selbstbewusste und eigenständige Techniken, um sich der Wirklichkeit zu stellen, sich mit ihr auseinander zu setzen. Kinder erfinden zum Beispiel Fantasiefiguren, unsichtbare Gestalten, die eine Zeit lang Begleiter sind, um dann wieder aus ihrer Welt zu verschwinden.

In Fantasiegeschichten und Märchen werden dem Kind Erklärungen angeboten, die ihm emotionale Stärkung geben. Solche Genres rufen deshalb Erstaunen und Verwunderung hervor, weil das Kind schon Erkenntnisse darüber hat, dass es nicht so sein kann, wie es in diesen Geschichten passiert. Die Perspektive des "Es könnte so sein" stellt dabei neben dem realistischen Blick eine andere Sichtweise auf Wirklichkeit dar.

Im Spiel verarbeiten Kinder bedrohliche, ängstigende Eindrücke. Im Spiel durchlebt das Kind ganze Gefühlspaletten, es hat deshalb – wie es der Psychologe Hans Zulliger formulierte – "heilende Kräfte". Ähnliches gilt für das Ritual, das Kinder entwickeln, um diffusen, unklaren Erfahrungen eine Struktur zu geben. Im Ritual können Kinder – ganz wie von Zauberhand –unsichere, ängstigende Lebenssituationen bannen.

Manchmal regredieren Kinder, das heißt sie fallen in frühere Entwicklungsstufen zurück, um sich seelischen oder gefühlsmäßigen Belastungen zu entziehen. So ein Rückzug kann schöpferisch, aber auch durchaus zwanghaft sein. Manchmal hilft jedoch sogar das Gegenteil: Kinder machen Fantasiereisen in die Zukunft, katapultieren sich nach vorne, um daraus Kraft für die Gegenwart zu beziehen.

In der magisch-fantastischen Phase werden bestimmte Genres für Kinder wichtig: das Märchen, Zauber- oder Zeichentrickgeschichten, Comedy. Es gibt eine Entsprechung zwischen den formalen Strukturen dieser Genres und der psychischen Verfassung von Kindern zwischen dem vierten und achten Lebensjahr. Ja es scheint so, als unterstützten diese Genres die Kinder dabei, ihre Entwicklungsaufgabe in dieser Phase zu durchleben.

Der Märchenforscher Max Lüthi hat fünf Gesichtspunkte entwickelt, die diese Verbindung bestätigen:

  • Das Märchen ist eindimensional. Dies meint, dass alles mit allem in Kontakt treten kann. Es ist normal, wenn Fantasiegestalten auftreten. Autos, Tiere oder Bäume verfügen über menschliche Eigenschaften. Sie unterstützen, helfen und retten den Helden auch aus höchster Not. Und niemand wundert sich darüber.
  • Märchen sind flächenhaft. Dies umschreibt die Aufhebung von Raum und Zeit, von Naturgesetzen, von Schwerkraft und Logik. Märchen folgen ihren eigenen Gesetzen, alles ist möglich, nichts ist unmöglich. Nicht um die äußere Realität geht es im Märchen, vielmehr bieten sich einem Kind Symbole, die ihm bei der Bearbeitung der inneren Wirklichkeit helfen. Zwar passiert im Märchen ständig Unerwartetes, Unvorhergesehenes, aber die Kinder wissen um den Sieg des kleinen Helden. Alles ist in Bewegung, immer ist etwas los.
  • Das Märchen lebt von den Formeln: "Es war einmal" oder "Und wenn sie nicht gestorben sind". Diese Formeln sind Beschwörung, sind Momente der Vertrautheit, sind altbekannte Rituale, mit denen man Angst und Schrecken bannen und aushalten, in den Griff bekommen kann.
  • Der Märchenheld besteht seine Abenteuer allein, isoliert von der Außenwelt. Unsichtbare Hände oder die helfende Außenwelt greifen nur dann ein, wenn er in größter Gefahr ist.
  • Das Märchen lebt von der polaren Gegenüberstellung von groß und klein, stark und schwach, gut und böse, wobei der kleine Listige, der zerbrechliche Schwache, der Gute über das Böse oder das Unrecht siegt. So wie das "Böse" symbolhaft – manchmal bis an die Grenze von Klischee und Stereotyp – dargestellt ist, so lautet die abstrakte Botschaft von Märchen: "Du musst dich schinden und bewähren!" Es geht um Reifung, Identitätssuche und Entwicklung. Der Märchenheld steht am Ende geläuterter, entwickelter, schlichtweg reifer da.

Zweifelsohne kann man – wie es in manchen Zeichentrickserien oder -filmen geschieht – solche Strukturen auch missbrauchen, um Kinder gefühlsmäßig zu überfordern. So steht der Held einer Zeichentrickserie zu Beginn einer neuen Folge genauso ungeschickt und unbeholfen, überrascht und unbedarft da wie in der Sendung zuvor. Fehler, Übermut, Dreistigkeit und Dummheit wiederholen sich immer aufs Neue, die Suche nach Identität wird zur immer dauernden Fortsetzung.

Wenn man Kinder mit Fantasiegeschichten erreichen will, sollte man einige Überlegungen berücksichtigen:

  • Kinder mögen einfache und klare Geschichten, die märchenhafte Elemente aufweisen – Elemente, die sie mit ihrer Fantasie besetzen können.
  • Kinder brauchen Geschichten mit einem Happy End, das Mut macht.
  • Kinder verabscheuen elterliche Erklärungen und Deutungen von Geschichten. Diese empfinden sie als störenden Eingriff in selbstbestimmte, schöpferische Tätigkeit. Je mehr Erklärungen die Erwachsenen zu magischen Geschichten haben, umso mehr werden die inneren Bilder der Kinder berührt. Wenn Kinder Fragen haben, werden sie diese stellen. Eltern sollten (auch) in dieser Hinsicht Vertrauen in ihre Kinder haben. Allerdings suchen Kinder häufiger das Gespräch mit Gleichaltrigen, weil sie hier mehr Verständnis erfahren.

Um sich auf die Geschichten einzulassen, brauchen Kinder Gewissheit, Vertrautheit und Verlässlichkeit. Diese stellt sich nur durch wiederholtes Hören und Durchleben der Geschichten ein. Je näher eine Story oder ein Märchen geht, je intensiver die subjektiv bedeutsamen Themen des Kindes getroffen werden, desto intensiver wird der Wunsch nach Wiederholung geäußert. Viele Kinder geben sich auch deshalb nicht mit einem einmaligen Hören zufrieden, weil sie die gehörte Geschichte im Geiste durchspielen und –arbeiten, um zu einer Lösung zu kommen. Das Prinzip der Wiederholung gehört für die Kinder zum Hören einer Geschichte, und zwar so lange, bis das innere Bild für das Kind bearbeitet ist, keine Bedeutung mehr hat und eine andere Geschichte fasziniert.

3. Altersgemäße Sendungskonzeptionen – Was heißt das?

Die Sesamstraße gliedert sich in zwei Teile: Da sind zunächst die Studiogeschichten um Samson, Finchen, Tiffy oder Rumpel, sowie die Stories mit den Puppen (Ernie, Bert und Co).

Pepe (Dirk Bach)

Und dann gibt es noch die Einspielfilme, die aus amerikanischen Produktionen übernommen oder in Deutschland hergestellt werden. Die Genres dieser Einspielfilme reichen vom Realfilm über die Bildergeschichte bis hin zu den verschiedensten Formen der Animation. Dieser Teil der Sesamstraße steht nicht im Zentrum der folgenden Überlegungen und Untersuchung. Diese konzentriert sich vor allem auf die "Bewohner" und die magisch-fantastische Wirklichkeit der Sesamstraße, also die Puppen und Monster.

Das Konzept der Rahmengeschichten haben die Redaktion des Norddeutschen Rundfunks (verantwortlich: Anke Schmidt-Bratzel), die Produktion (Studio Hamburg, verantwortlich: Bettina Bergwelt), und nicht zuletzt die Headautorin, Angelika Bartram, entwickelt. Ich habe diese Arbeit unter psychologischen und pädagogischen Gesichtspunkten begleitet. Ausgangspunkt der Konzeption war die Lebens- und Alltagswelt der Zielgruppe, d.h. die Kinder im Alter zwischen drei und sechs Jahren, vor allem deren Entwicklungsbesonderheiten. Dazu heißt es im Manual zur Sendung, das Grundlage für jene Autoren war, die die Rahmengeschichten entwickelten: "Kinder ernst nehmen heißt, sie in jeder Phase ihrer Entwicklung ernst zu nehmen und zu versuchen, ihnen auf dem Level ihres Erlebens zu begegnen. Kinder ernst nehmen heißt deswegen auch, sie in ihren Wünschen, Träumen und Allmachtsfantasien ernst zu nehmen, sie nicht als eine Ansammlung von Niedlichkeiten zu sehen, sondern als ein Riesenpotenzial an Möglichkeiten. Kinder ernst nehmen heißt, die Kraft ihrer Fantasie ernst zu nehmen und dafür zu sorgen, dass man diese Kraft nicht verbaut, sie nicht einseitig in eine intellektuelle Richtung drängt, sondern sie ausbaut zu einer Fähigkeit, die Lust darauf macht, das Leben zu gestalten." Und zur Umsetzung dieser Auffassung in eine Dramaturgie heißt es weiter: "Will man Kindern etwas vermitteln, muss man sich ihrer Sprache bedienen. Das gilt auch für jeden, der Kindern Geschichten erzählen will. Er muss nachvollziehen können, wie Kinder in den verschiedensten Entwicklungsstufen mit ihrer Welt umgehen, wie sie denken, wie sie sprechen, um diese Elemente dann in seinen Geschichten benutzen zu können. Andernfalls läuft man Gefahr, an den Kindern vorbei zu erzählen."

Angelehnt an die Alters- und Entwicklungsstufen der drei- bis sechsjährigen Kinder sind die Entwicklungsstufen, sind die Temperamente der Protagonisten in den Rahmengeschichten aufgebaut.

Finchen ist eine Schnecke, drei Jahre alt. Sie hat viel Fantasie, ist wissensdurstig und neugierig auf alles, weil es für sie noch viel zu entdecken gibt.

Und dann gibt es natürlich Samson. Finchen ist seine beste Freundin. Samson, der Bär, ist fünf Jahre alt. Er reagiert stark emotional, schaut hinter die Dinge, fragt immer weiter. Doch er hat eine Vorliebe für fantastische Geschichten.

Tiffy, der Vogel, sechs Jahre alt, geht gerade in die Schule, setzt sich von Finchen und Samson geradezu ab. Tiffy will alles wissen, und das, was sie weiß, will sie allen vermitteln. Aber Tiffy braucht auch ihre Kuscheleinheiten, die sie sich bei Samson holt.

Nicht zu vergessen ist Rumpel, ein altersloser Grautsch. Rumpel stellt das aufmüpfige Kind dar, das nichts gut findet, worüber andere sich freuen. Rumpel provoziert, wo immer er kann. Und Rumpel liebt es, schlechte Laune zu haben. Rumpel stellt das trotzige Kind dar, das erst einmal gegen alles ist.

Finchen, Samson, Tiffy und Nils Julius

Aus diesen Charakteren ergibt sich eine kreativ-anarchische Beziehungsdynamik, die sich dann in den Handlungen und Dramaturgien der Rahmengeschichten spiegelt. So in der Folge

2055 (Das Licht im Kühlschrank), in der es darum geht, warum eigentlich Licht im Kühlschrank brennt. Während Samson und Finchen nach magisch-fantastischen Erklärungen suchen ("Vielleicht macht die Gurke, die im Kühlschrank liegt, den Lichtschalter an?"), schwankt Tiffy zwischen einer wissenschaftlich richtigen und einer fantastischen Erklärung. Nils, eine erwachsene Bezugsperson aus den Rahmenhandlungen, lüftet am Ende das Geheimnis, ohne Samson und Finchen mit seiner Erklärung vollständig überzeugen zu können. Sie bleiben vielmehr bei ihrer Auffassung, die ihnen altersgemäß vertrauter ist.

In einigen Folgen der Rahmengeschichten spielt dann noch der Zauberer Pepe, dargestellt von Dirk Bach, eine zentrale Rolle. Diese Figur wurde neu eingeführt und von den zuschauenden Kindern schnell akzeptiert. Der Zauberer Pepe ist ein Kind, das im Moment, im Hier und Jetzt lebt. Pepe misslingt vieles, kaum ein Zauber, der zunächst nicht schief geht. Aber Pepe gibt nicht auf, Hoffnungslosigkeit hat keinen Platz. Pepe versucht es immer und immer wieder, bis es dann endlich klappt. Auch wenn Pepe wie ein Kind daherkommt, er kindertümelt nie. Er agiert kindlich, aber er wirkt nicht kindisch. Er hat etwas Geheimnisvolles an sich, was Kinder schnell in den Bann zieht. Pepe spielt, zaubert, erzeugt Geschichten, und darin erkennen sich Kinder wieder.

Das Spiel stellt eine aus der Sicht von Kindern angemesse Form der Verarbeitung von Erlebnissen dar, weil es zentrale Entwicklungsaspekte des Kindes berücksichtigt. Das Kind lässt sich freiwillig auf das Spiel ein, das selbst bestimmten Regeln unterliegt. Im Spiel kontrolliert der Heranwachsende, in welchem Tempo er sein Problem und seine Lösung angehen will. Im Spiel geht es um eine begriffliche Lösung des Problems. Das Spiel lebt vom Grundsatz, wonach das Kind den Begriff über das Greifen erlernt. Eigenständig und ausgerüstet mit eigenen Mitteln stellt sich das Kind dem Problem, versucht es zu begreifen, um einen Begriff vom Problem zu bekommen. Dies geschieht in einer Geschwindigkeit, die das Kind vorgibt. Das Spiel kennt unterschiedliche Tempi: die rasante Vorwärtsbewegung, das Schneckentempo, das Verweilen oder die Rückschau, um zu prüfen, wie weit man gegangen ist, das Sich-Niederlassen und -Einrichten an einem Ort – und auch den Rückschritt. All dies stellt Pepe mit seinen Möglichkeiten dar.

Finchen und Ole Murps

Nun sind es nicht allein die Charaktere, die die Faszination für Kinder ausmachen. Die Dramaturgie der Rahmengeschichte erzeugt eine ganz eigene, für Kinder nachvollziehbare Spannung:

  • Da ist zunächst die Identifikation mit den Muppets: Sei es, dass sich die Kinder in sie hinein versetzen oder sich über sie erheben.
  • Kinder werden von den Protagonisten direkt begrüßt, sie fühlen sich ernst genommen.
  • Geschichten knüpfen an die Kompetenzen der Kinder an.
  • Geschichten stellen Bezüge zum Alltag her, ohne dass sie aufgesetzt, vordergründig und pädagogisch daherkommen.

4. Untersuchung zum Rahmenkonzept

Im Mittelpunkt einer Untersuchung zu den Folgen 2046 und 2055 standen zwei Fragen:

  • Wie gehen Kinder mit den magisch-fantastischen Gestaltungselementen um? Akzeptieren sie die Mischung aus Unterhaltungs- und Wissensvermittlung?
  • Wie gehen Kinder auf die neu eingeführten Puppen bzw. Pepe ein? Welche Bedeutung weisen sie ihnen zu?

Die Untersuchung erhebt somit nicht den Anspruch, das Gesamtkonzept der Sesamstraße im Kontext anderer Vorschulsendungen zu betrachten. Vergleicht man die Ergebnisse der Begleiterhebung mit anderen, umfassenderen Studien, so lässt sich allerdings festhalten: Die Ergebnisse sind durchaus repräsentativ und lassen sich auf dem Hintergrund anderer Untersuchungen verallgemeinern.

Es wurden 310 Kinder in 12 Kindertagesstätten befragt. Fünf Kindergärten lagen im Hamburger Stadtgebiet, sieben befanden sich südlich von Hamburg in einer ländlichen Region. Die Kinder waren zwischen drei und sechs Jahre alt. Mehrheitlich kamen sie aus mittleren sozialen Schichten. Die Eltern achteten auf den Fernsehkonsum ihrer Kinder, waren um anspruchsvolle Sendungen für ihre Kinder bemüht. Häufig nutzten die Kinder den Kinderkanal. Vielsehende Kinder gab es ebenso wenig wie Kinder, die Sendungen sahen, die nicht für die Altersgruppe geeignet waren.

Der Fernsehkonsum der Kinder lag im Durchschnitt bei etwa ein bis zwei Sendungen pro Tag, meist Vorschulsendungen. Genannt wurden die Sesamstraße, Die Sendung mit der Maus, Sandmännchen, aber auch Löwenzahn, Siebenstein, Teletubbies, Disney Club oder Tigerenten Club. Hinzu kamen noch gängige Zeichentrickserien wie Heidi oder Pokémon. Letztere wurden von den älteren Kindern genannt.

Die Sesamstraße war allen Kindern bekannt. Sie war jenes Format, das sie ohne große Auseinandersetzung mit den Eltern sehen durften, weil diese mit dem Konzept der Serie einverstanden waren.

Hinzu kommt noch ein anderer Gesichtspunkt, der sich als bedeutsam erwies: "Sesamstraße dürfen wir alleine sehen," erklärt der sechsjährige Michael, "weil wir dort etwas lernen." Aus elterlicher Sicht hat die Sesamstraße deshalb hohe Akzeptanz. Sie wird als kindgerecht eingestuft, weil sie frei von Werbung, Gewalt und angsteinflößenden Teilen ist. Aus der Sicht der Kinder stellt sich die Sesamstraße als "ihre" Sendung dar. Sie lassen sich auf sie ein, fühlen sich angenommen.

Pepe und Finchen

Der Umgang mit der Sesamstraße kommt einem Ritual gleich: Man weiß, wann die Sendung kommt, richtet sich vor dem Fernsehapparat ein, vertraut den Abläufen, die da kommen. Vertrautheit wird zum größten Teil durch die Muppets aufgebaut, auf die sich die Kinder einlassen, deren Charakter und Temperament sie einzuschätzen wissen. Da ist der große, kuschelige, lustig-tapsige Bär. Samson möge sie am liebsten, berichtet die fünfjährige Anne, der sei so kuschelig, so groß, solch einen möchte sie als Bruder haben, dann könne ihr nichts passieren. Mit dem würde sie sogar nachts in den dunklen Wald gehen. Aber auch Ernie, Bert oder das Krümelmonster werden als bekannt-vertraute Muppets immer wieder hervorgehoben, ohne dass man nachfragen muss. Die Kinder begründen ihre Zuneigung zu den Muppets inhaltlich und differenziert: Alle seien lustig, machen hin und wieder Unsinn, man könne über sie lachen. Die wären wie "gute Freunde", erklärt der sechsjährige Jan. "Irgendwie weiß ich, was bei denen kommt. Ernie, der nervt so ein bisschen und Bert ist der etwas Ruhigere." Das sei wie mit seinem älteren Bruder, der lasse sich viel von ihm gefallen.

Die Muppets stehen aus der Sicht der Kinder nicht allein für bloße Unterhaltung, in ihnen verkörpern sich Haltungen, Charaktere, Lebensprinzipien. Sie stellen Bezüge zum eigenen Alltag her – und dies auf eine geistreich-witzige, nicht vordergründig-oberlehrerhafte Art.

Auffallend waren die klaren Stellungnahmen, die die befragten Kinder zum Sendungsformat hatten – je älter, desto deutlicher war ihre Meinung ausgeprägt. Sie lobten die Mischung aus Unterhaltung und Wissensvermittlung und fühlten sich von der Sendung als eigenständige Persönlichkeiten anerkannt. Und die Sesamstraße war schon deshalb eine Sendung für sie, weil sie Ernie und Bert, Pepe und Momi allein, ohne elterliche Beteiligung sehen durften. "Dann redet Mama nicht immer dazwischen", so drückt es die sechsjährige Stefanie aus, "Samson ist eben mein Freund, und Mami hat die Lindenstraße.

Die Untersuchung gliederte sich in zwei Abschnitte:

  • Zunächst sahen die Kinder jeweils zwei Folgen der Sesamstraße (2046 und 2055). Dabei wurden die Kinder mittels Videokamera beobachtet. Damit sollten die sprachlichen wie nichtsprachlichen Reaktionen der Kinder und unmittelbare Effekte auf sendungsbezogene Teile eingefangen werden.
  • Im Anschluss fanden Gruppen- und Einzelinterviews statt, in denen die Kinder Gelegenheit hatten, ihre Meinung zur Sendung zu äußern. Die Befragung wurde als offenes, leitfadengestütztes Interview durchgeführt (vgl. Anm.).

Verhaltensbeobachtung während der Rezeption

Die Kinder waren von den beiden Folgen fasziniert, wobei Phasen der Konzentration mit Phasen, in denen sie sich abwandten, abwechselten. Dies entspricht völlig kindlichen Wahrnehmungsbesonderheiten. Für die untersuchte Altersgruppe ist es unmöglich, einer Sendung über fast 30 Minuten aufmerksam zu folgen. Dies würde sie kognitiv und emotional überfordern. Es fällt allerdings auf: Erscheinen die Muppets, dann geht die Blickrichtung zum Fernseher, Nebenaktivitäten, die nichts mit der Sendung zu tun haben, hören auf. Die Kinder schauen gebannt den Protagonisten zu. Für viele Kinder dienen die kurzen Einspielfilme dazu, abzuschalten, sich neu zu besinnen, um sich dann wieder auf die Muppets und deren Storys einzulassen.

Kritisch wird der Realfilm über die türkischen Kinder aus der Serie Mischa in der Türkei in beiden Folgen bewertet. Schon nach kurzer Zeit lässt die kindliche Aufmerksamkeit nach, die Kinder wenden sich ab, nehmen Kontakt zu neben ihnen sitzenden Kindern auf, lassen sich nicht auf diese Teile ein. "Das ist langweilig", erklärt der sechsjährige Jonas stellvertretend für andere Kinder. Ohne jetzt in eine genaue Produktanalyse einzutreten: Die Storys über die türkischen Kinder, deren Absichten zweifellos wichtig sind und die in den Lernzielkatalog des Sesamstraßen-Konzepts passen, unterscheiden sich von der Qualität und der ästhetischen Umsetzung der Muppet-Geschichten grundlegend. Viele Storys der Einspielfilme haben keinen Spannungsbogen, die ästhetische Umsetzung ist wenig ansprechend, der Sprecher kindertümelnd. Die Konsequenz: Kinder fühlen sich nicht ernst genommen, sie wenden sich ab.

Zweifellos stehen die Puppen im Mittelpunkt des kindlichen Interesses. Dabei führen – wie schon erwähnt - Ernie und Bert, Krümelmonster, Tiffy und Finchen, aber auch der neu eingeführte Pepe die Beliebtheitsskala der Kinder an.

Kognition und Emotion
gehören zusammen

Lernen und Unterhaltung gehen für Kinder ein unauflösbares Gemenge ein. Eine nur auf das Kognitive gerichtete Wissensvermittlung empfinden Kinder als langweilig, einseitig und belehrend. Kognition und Emotion gehören zusammen. Emotionalität finden die Kinder in den Charakteren und Temperamenten der Muppets wieder, aber auch in den Songs und in der Musik der Folgen. Sie binden die Aufmerksamkeit der Kinder, schlagen sie in den Bann, ohne sie gefühlsmäßig zu überfordern. Die Kinder singen mit, bewegen sich im Takt der Musik, lassen sich gestisch und mimisch animieren.

Sendungsbezogene Aufmerksamkeit der Kinder bedeutet nun nicht, dass Nebenaktivitäten ausgeschlossen sind. Zwei unterschiedliche Formen kann man beobachten: Zum einen jene, um sich abzulenken, zu entspannen, abzuschalten. Den Kindern sind die Sendungsinhalte egal, kommen allerdings "ihre Lieblinge", wenden sie sich wieder dem Programm zu. Da die Kinder mit dem Sendungsformat vertraut sind, sie also wissen, wie die Folgen aufgebaut sind, können sie "abschalten", ohne Gefahr zu laufen, etwas für sie Wichtiges zu verpassen. Zum anderen finden sendungsbezogene Unterhaltungen statt: Da unterhalten sich zwei Kinder über Pepe, wie der wohl seinen Zauberspruch wiederfindet, andere Kinder erklären mit großer Selbstverständlichkeit, wie das Licht im Kühlschrank an- und ausgeht. Und dann gibt es noch die parasozialen Gespräche: Sei es, dass man Pepe helfen will, den vergessenen Zauberspruch zu finden, oder dass man die Dichterin aus einem Einspielfilm als "blöd" oder "doof" empfindet.

Kinder mögen es deshalb, wenn sie von den Muppets direkt begrüßt werden. "Das ist, als ob Samson mit mir redet", kommentiert die sechsjährige Vanessa. Durch diese Ansprache fühlen sich die Kinder angenommen, es wird eine quasi persönliche Beziehung zu ihnen hergestellt, die für die weitere Wissensvermittlung, die Umsetzung der intendierten Lernziele wichtig ist. Denn, je sympathischer der Protagonist, je kompetenter seine Erklärungen, je mehr er Kinder dort abholt, wo sie sind – und dies ist räumlich und intellektuell gemeint –, desto mehr sind Kinder bereit, sich auf ihn und seine Fähigkeiten einzulassen. Dies haben die Verhaltensbeobachtungen deutlich gemacht.

Auswertung der Interviews

  • Pepe hat sich sofort in die Herzen der Kinder gespielt, ohne sich auf vordergründige Weise als einer von ihnen anzubiedern. Kinder finden ihn lustig, witzig, komisch. Kinder fühlen sich von ihm angesprochen. Er ist einer wie sie – mit allen Stärken, mit allen Schwächen. Er probiert vieles aus, ist manchmal traurig, dann wieder fröhlich. Er fällt auf die Nase und weiß doch, wie man aus verzwickten Situationen herauskommt. Irgendwie weiß er immer Rat – und er hat etwas Geheimnisvolles an sich. Von daher ist es fast selbstverständlich, wenn die Kinder durch Pepe angeregt werden, eigene (Zauber-) Geschichten zu erfinden. Und so konnte man beobachten, dass Kinder in den Interviews von eigenen Zaubereien, deren Gelingen und Misslingen erzählten.
  • Anders verhielt es sich mit der Kühlschrankgeschichte. Auch hier fühlten sich Kinder angesprochen, empfanden sich allerdings kompetenter als die Protagonisten der Sendung. Auch dies erzeugte eine bestimmte Sehhaltung: Die Kinder kommentierten die Aktionen der Muppets, erzählten sich davon, was sie alles wüssten und kamen sich insgesamt klüger vor. Während die Spannung in der Pepe-Folge daraus erwuchs, wie er aus seinem "Schlamassel" heraus kam, enthielt die Kühlschrankgeschichte eine ganz andere Spannung: Die zuschauenden Kinder wussten um die technischen Vorgänge, konnten zusehen, wie die Muppets in ihrem Wissen endlich mit ihnen gleichzogen.

Kinder mögen die Mischung aus Wissens- und Informationsvermittlung und Unterhaltung. Allerdings stellen sie hohe Ansprüche an solche Formate. "Wenn es nicht lustig ist, da mag ich nicht hinschauen", sagt die fünfjährige Sandra. Und wie ein Fachmann kommentiert der sechsjährige Tim: "Die Bilder müssen klasse sein. Ich muss das eben auch sehen, was da erklärt wird, sonst verstehe ich das nicht!" Sein gleichaltriger Freund Rafael ergänzt: "Wenn der nur erzählt, dann ist’s auch nicht gut. Ein bisschen Musik, wo ich mitsingen kann, das ist toll. Oder wenn sie das Alphabet mit einem Lied erklären, dann behalt’ ich das viel schneller." Er könne sich das einfacher merken, meint der sechsjährige Carlo, wenn er das, was er gesehen habe, nachher nachmachen könne.

Damit haben die Kinder zwei wichtige Punkte angesprochen, wenn es um die Umsetzung von Lernzielen, die Wissens- und Informationsvermittlung geht: Die unterhaltend-emotionalisierenden Gestaltungselemente sind ebenso zentral wie Alltagsbezüge ("Was habe ich damit zu tun?"), doch kommt die Umsetzung dieser Gesichtspunkte einer Gratwanderung gleich: So wichtig die dramaturgischen Elemente (Musik, Songs, Kameraführung) auch sind, ein Zuviel an Spannung würde ablenken, die angesprochene Zielgruppe verunsichern. Ein überzogener Alltagsbezug könnte als bloße Belehrung missverstanden werden.

Das Konzept, das auf der magisch-fantastischen Wirklichkeitsauffassung der Kinder aufbaut – die Reaktionen und Aussagen der befragten Kinder beweisen es – hat diese Gratwanderung kompetent vollzogen.

5. Zusammenfassung

Kinder müssen – je nach Alter und Entwicklungsstand – erproben, wie sie das Fernsehen gebrauchen können. Und deshalb sind Eltern und Pädagogen, Produzenten und Programmverantwortliche, Redakteure und Autoren gleichermaßen gefragt. Zweifelsohne hat die Dramaturgie einer Sendung Einfluss darauf, ob Kinder überfordert werden oder ob sie die Chance einer gefühlsmäßigen Distanzierung erhalten. Es gibt Sendungen, die eine kindgerechte Dramaturgie versuchen, aber kindgerecht ist nicht immer das, was Erwachsene dafür halten. Heranwachsende verstehen unter kindgerecht anderes: nicht belehrende Besserwisserei, langweilige Einstellungen, betuliche Bilder und ein onkelhafter Ton. Vorschulsendungen wie Die Sendung mit der Maus oder Sesamstraße bieten Unterhaltung und Vergnügen, nehmen aber zugleich kindliche Gefühle ernst. Solche Sendungen sind nicht auf den großen Spannungsbogen ausgerichtet. Sie bestehen aus mehreren kleinen Spannungsbögen, zwischen denen sich Kinder ausruhen können. Nur ein Kind, das während des Sehens Aktivitäten zeigen darf, wird in der Lage sein, mit den gefühlsmäßigen Herausforderungen von Fernsehsendungen produktiv umzugehen. Kinder haben ihre Qualitätsansprüche an Sendungen, die man mit Überschaubarkeit und Erleben umschreiben kann. Kinder wollen von ihren Lieblingssendungen gefühlsmäßig mitgerissen werden. Doch um das auszuhalten, brauchen sie Verlässlichkeit und Sicherheit, die ihnen ein vertrauter dramaturgischer Rahmen bietet. "Was Kinder am nötigsten brauchen," so Bruno Bettelheim in seinem Essay über "Kinder und Fernsehen" ist, "aus ihren Erfahrungen zu lernen und durch sie zu wachsen. Am meisten nützen den Kindern Sendungen, die zeigen, wie sich Menschen durch Erfahrungen wandeln – in ihrer Persönlichkeit, in ihrer Sicht des Lebens, in den Beziehungen zu anderen und in der Fähigkeit, mit zukünftigen Ereignissen zurechtzukommen." Die Rahmengeschichten der Sesamstraße zeigen dies auf eine eindrucksvolle Weise.

ANMERKUNG

In fünf Kindergärten führten Studenten und Studentinnen der Universität Hamburg unter der Leitung der Dozentin Eva Schäfer die Video-Beobachtung und die Interviews durch. In zehn Kindergärten fand die Beobachtung und Befragung von Erzieherinnen unter Anleitung von Jan-Uwe Rogge statt. Eva Schäfer hat auch die Kurzauswertung der von ihr durchgeführten Beobachtung und Interviews verfasst.


 

LITERATUR

Bettelheim, Bruno: Themen meines Lebens. Stuttgart: Deutsche Verlagsanstalt 1990.

Fisch, Shalom M.; Truglio, Rosemarie T.: G is for growing. Thirty years of research on children in Sesame Street. London: Erlbaum 2001.

Lüthi, Max: Märchen. Stuttgart: Metzler 1990.


Mediaperspektiven, -/2000/12.

Neuß, Norbert (Hrsg.): Fantasiegefährten. Weinheim u.a.: Beltz 2001.

Rogge, Jan-Uwe: Geschichten gegen Ängste. Reinbek b. Hamburg: Rowohlt 2002.


Sesamstraße: Summary of research findings in Germany. Prepared for workshop. July 2000.


Theunert, Helga; Eggert, Suanne: Was wollen Kinder wissen? Angebot und Nachfrage auf dem Markt der Informationsprogramme. In: Schächter, Markus (Hrsg.): Reiche Kindheit aus zweiter Hand? Medienkinder zwischen Fernsehen und Internet. (Medienpädagogische Tagung des ZDF, Mainz 19.-20.9.2000 ). München: KoPäd 2001. S. 47 - 62.


Zulliger, Hans: Heilende Kräfte im kindlichen Spiel. Frankfurt a.M.: Fischer Taschenbuch 1990.



DER AUTOR

Jan-Uwe Rogge, Dr. rer. soz., Familien- und Kommunikationsberater in eigener Praxis, lebt in Bargteheide bei Hamburg.


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