Szene aus dem Dokumentarfilm "Joana Mallwitz - Momentum"
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Szene aus dem Dokumentarfilm "Joana Mallwitz - Momentum"

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"Momentum": Doku über Joana Mallwitz – Dirigentin wider Willen

Früh wurde die Dirigentin Joana Mallwitz als Ausnahmetalent entdeckt – in einem Beruf, der als Männerdomäne gilt. 2023 wechselte sie vom Nürnberger Staatstheater ans Berliner Konzerthaus. Die Doku "Momentum" begleitet sie auf ihrem Weg dorthin.

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Die Szene steht ganz am Ende des Films: Joana Mallwitz und ihr Mann, der Tenor Simon Bode, liegen sich in den Armen. Sie hat gerade ihr Antrittskonzert am Berliner Konzerthaus hinter sich. Viel Jubel, viel Erleichterung. Bei der Mahlersymphonie habe er heulen müssen, sagt er. Und sie: "Obwohl das nicht ganz zusammen war?"

Dass sich Regisseur Günter Atteln entschieden hat, diese Szene mit genau der Mahlerstelle einzulullen, über die da gesprochen wird, ist verständlich, nimmt ihr aber auch ein bisschen die Pointe. Denn die besteht ja darin, dass sich Mallwitz eben nicht einlullen lässt. Obwohl das nicht ganz zusammen war? – Das sagt niemand, der es auch mal gut sein lassen will.

Die erste Frau auf dem Chefposten eines der großen städtischen Orchester

Das Momentum, in das sich diese Dokumentation einschaltet, ist Mallwitz' Wechsel von Nürnberg nach Berlin. Dort in Franken wurde sie groß, ein Pultstar, eingeladen zu den Salzburger Festspielen, international renommiert, sogar Operndirigentin des Jahres. Berlin ist der nächste Schritt. Vor allem für Berlin, wie es scheint. Die erste Frau auf dem Chefposten eines der großen städtischen Orchester, und dann auch noch eine mit 37 Jahren relativ junge. Darauf ist man stolz. Das Konzerthaus wirbt mit ihrem Gesicht. Hundertfach leuchtet es einem von Plakaten entgegen. Und Mallwitz? Scheint das mehr zu akzeptieren als zu umarmen. Auch im Gespräch mit der Hauptstadtpresse.

Ob es eine Rolle für ihre Arbeit spiele, dass sie die einzige Orchesterchefin in Berlin sei, wird sie von einem Journalisten gefragt. Sie antwortet: "Für meine Arbeit spielt das keine Rolle. Ich mache meine Arbeit, meinen Job, das ist genug. Aber mir ist natürlich bewusst, dass das ein Thema ist und dass darüber gesprochen wird."

Eine gewisse Resignation ist da schon spürbar. Es nerve, dass sie immer wieder auf ihr Geschlecht angesprochen wird, sagt Mallwitz im Film. Genauso wie die Frage, wie das denn alles so gehe – mit Kind. Eine Frage, die Dirigenten nicht gestellt wird.

Da bleibt auch mal Markus Söder außen vor

Dass der Film dann selbst ziemlich ausführlich zeigt, wie Mallwitz ihr Familienleben organisiert – wie das so geht, wenn man eine Opernpremiere in Salzburg dirigiert und der Partner die Hauptrolle singt – nämlich nur mit den Eltern und Schwiegereltern im Hintergrund –, das wirkt nur auf den ersten Blick wie ein Widerspruch. Gehört halt dazu, zum Leben. Bemerkenswert ist eher die Tatsache, dass solche Szenen in ähnlichen Dokus außen vor bleiben. Der Dirigent ist dem Stereotyp nach immer noch solitär. Einsames Genie. Dass dieser Film ein anderes Bild zeigt, schadet gar nicht.

"Unter den Parametern dessen, was meine offensichtlichen Talente sind", sagt Mallwitz im Film, "ist das der ganz falsche Beruf für mich. Ich habe Angst vor vielen Leuten, ich bin nicht sonderlich spontan." Aber sie wolle eben auch etwas über sich selbst herausfinden und das ermögliche ihr der Beruf der Dirigentin.

Mallwitz, die Unwahrscheinliche, die Dirigentin, die keine sein will. Dass das nicht nur Koketterie ist, zeigen die Momente vor dem Auftritt, wenn die Anspannung sie völlig isoliert. So sehr, dass sogar Markus Söder ignoriert wird – eine Szene hinter der Bühne bei ihrem Nürnberger Abschlusskonzert. Passiert dem bayerischen Ministerpräsidenten sonst nicht, so verunsichert wie er dreinschaut. Aber das ist nur die eine Seite.

Selbstreflexion ermöglicht Freiheit

Denn sobald Mallwitz am Pult steht, ist sie da, die Souveränität. Dann öffnet sich der Blick, dann fliegen die Arme. Überhaupt ist es interessant, wie Mallwitz sich bewegt. Tänzerisch wirkt das, immer gerichtet, kein Hauch von Nachlässigkeit. Noch nicht mal, wenn sie sich an der Nase kratzt. Das sind Bilder, die man sonst nur aus dem Ballett kennt: Dieser typische Gang, der den Tänzerinnen und Tänzern zur zweiten Natur geworden ist. Ähnlich bei ihr. Die Dirigentin, die keine sein will, ist es mit jeder Faser ihres Körpers.

Mittlerweile könne sie damit umgehen, sagt Joana Mallwitz: "Aber von Natur aus bin ich kein Mensch, der gerne in einem Raum voller Leute ist – und ich weiß noch, dass ich mich in solchen Momenten immer total konzentrieren musste, um nicht vor Energie und Überforderung ohnmächtig zu werden."

Und darin liegt das eigentlich Interessante dieser Doku: Sie widerspricht einem naiven Verständnis von Authentizität. Und sie zeigt, was Selbstreflexion möglich macht: Freiheit.

Der Dokumentarfilm "Joana Mallwitz - Momentum" von Günther Atteln kommt am 16.05.2024 in die Kinos.

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